Rudern gegen den Corona-Wind

#BendTheCurve ist das neue #FlattenTheCurve

Auch wenn ich mir als Klimaquengler vor allem um das Klima Sorgen macht, muss ich mich heute doch auch mal zu SARS-CoV 2 und das Krisenmanagement der Deutschen Bundesregierung äußern. Denn je länger wir Corona an der Backe haben, umso länger wird es dauern, bis die Regierenden mal wieder auf das Klima schauen, und um so platter liegt die Wirtschaft darnieder, so dass dem Wiederaufbau der Wirtschaft (vielleicht auch berechtigt) eine höhere Priorät eingeräumt wird, als dem Klima.

Wo stehen wir? Die Deutsche Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi) hat es in ihrer Stellungnahme zur Verbreitung des neuen Coronavirus (SARS-CoV-2) nahegelegt, und Mai Thi Nguyen Kim hat es in ihrem Vlog in gewohnt souveräner und anschaulicher Weise auf den Punkt gebracht: 

  1. Vergiss Herdenimmunität durch Infektion: Bis die nötige Anzahl Menschen durch Infektion immun wird, ohne dass das Gesundheitssystem aus den Angeln gehoben wird, vergehen Jahre. Und zudem ist für Alte und Risikopatienten eine Ansteckung auch bei ausreichend verfügbaren Intensivkapazitäten oft tötlich, wie wir ja derzeit sehen. 
  2. Herdenimmunität durch Impfung ist noch ein sehr langer Weg: Mit einem Impfstoff in ausreichender Menge und mit ausreichend geringen Nebenwirkungen ist in Jahresfrist nicht zu rechnen. Und wollen wir die Einschränkungen wirklich noch ein Jahr aushalten?
  3. Vergiss „langsam wieder hochfahren“. Deutschland hat es mit den seit Wochen laufenden Einschränkungen gerade so geschafft, den Reproduktionsfaktor R auf ungefähr 1 zu senken. Das heißt, derzeit steckt ein Kranker im Schnitt einen weiteren an, sodass die Zahl der Neuinfektionen zwar im Schnitt leicht sinkt, aber lokal auch noch wächst. Man könnte so weitermachen; dann wäre Deutschland in ein paar Jahren immun. Und die Wirtschaft tot. Und vieles schlimmer. Wen wir dagegen schon bald die Isolationsregeln lockern, wird R wieder deutlich über 1 steigen, die Fallzahlen werden exponentiell in die Höhe schießen, und wir sind wieder da wo wir schon vor Wochen waren, nur ausgelaugter und ungeduldiger. 
  4. Im Gegenteil gilt es, die Anstrengungen zu verstärken, sich noch mehr ins Zeug zu legen, mit wohlüberlegten und wirksamen, und teilweise auch schmerzhaften Maßnahmen die Reproduktionsrate so weit wie möglich unter 1 zu drücken, die Fallzahlen möglichst schnell runterzubekommen, so dass wir auch bei gelockerten Isolationsregeln jeden einzelnen Fall unter voller amtlicher Kontrolle haben (Containmentphase).

Willst du bei steifer Brise von vorn und mit leckendem Ruderboot die rettende Insel erreichen, dann legst du auf halber Strecke besser kein Päuschen ein.

Captain Jack Sparrow (oder so ähnlich)

Am Karfreitag, hat Jens Span im Handelsblatt Optimismus verbreitet und baldige, kontrollierte Lockerung der Maßnahmen prophezeit. Ist das realistisch?

Welches Maß an Regularien ist richtig? So politisch schwierig solche Entscheidungen sind, so wissenschaftlich ungenau sind ihre Folgen vorherzusehen, denn das Kontrollieren der Infektionskurve ist vergleichbar mit dem Steuern eines Öltankers im Nebel mit ausgeschlagenem Ruder. Jede Maßnahme wirkt nur ungenau und mit zweiwöchiger Verzögerung. Zudem wird der Kurs von vielen unbekannten Faktoren beeinflusst, die keineswegs nur zu unseren Gunsten sind.

Wir können aber vielleicht von Anderen lernen, die uns in der Pandemiebewältigung zeitlich voraus sind. China, Südkorea, und auch Österreich zum Beispiel. Okay, die Voraussetzungen und gesellschaftlichen Strukturen sind überall verschieden. Dennoch können wir gerade aus den Anfängerfehlern lernen. Schauen wir uns mal die Verlaufsgrafik verschiedener Länder an. Uns interessieren nicht die steigenden Fallzahlen, sondern die Veränderungen, also die Zahl der täglich hinzugekommenen Fälle:

Die meines Erachtens sehr informative Abbildung von OurWorldInData.org zeigt für ausgewählte Länder die Zahl der täglich gemeldeten neuen Erkrankungen (geglättet über 7 Tage), je Land seit seinem ersten Tag mit 30 Meldung. Man beachte auch, dass die Y-Achse logarithmisch ist; eine konstante Reproduktionszahl R entspricht also einer Geraden, die bei R>1 steigt und bei R<1 sinkt. Was kann man sehen?

China hatte den steilsten Anstieg, möglicherweise durch die soziologischen Strukturen, aber auch weil es zunächst gar keine Gegenmaßnahmen gab. Der Lockdown in China am 23. Januar (in der X-Achse beim Wert 2) war deutlich strenger als derzeit in Deutschland, und bewirkte mit ein- bis zweiwöchiger Verzögerung eine Abflachung der Kurve. Er wurde im weiteren Verlauf noch verschärft und erst das brachte in der vierten Lockdown-Woche eine deutliche Reduktion der Neuansteckungen. Vier weitere Wochen strengster Lockdown lenkten die Kurve steil abwärts, bis in eine kontrollierbare Zone. Sowie der Lockdown dann gelockert wurde, wuchs die Zahl der Neuinfektionen wieder an. Man sieht aber, dass sie sich bereits im unteren zweistelligen Bereich befand und das große China es wohl schafft, die täglichen Ansteckungen unter 100 zu halten. Containmentphase eben.

Südkorea hatte einen Monat nach China seinen ersten Tag mit 30 Neumeldungen. Es bekämpfte die Epidemie, gut vorbereitet, sehr schnell mit massiven Gegenmaßnahmen, so dass dieses Land trotz seiner 50 Millionen Einwohnern nie über mehr als 600 Neuinfektionsmeldungen pro Tag kam. (In Deutschland liegt der Wert um Ostern bei rund 5000.) Der Weg zurück zur Normalität war nicht nur steil sondern auch kurz, so dass sich Sükorea seit Mitte März mit konstant 100 Neuinfektionen in einer Containmentphase befindet. Wir wissen nicht, wie echt diese Daten sind, aber epidemiologisch sieht’s lehrbuchmäßig aus.

Deutschland: Schaut man auf die europäischen Länder, so sieht man, dass sie sich weit schwerer tun, die Biege zu machen, also die Kurve steil nach unten und die Zahl unter die Containmentschwelle zu bekommen. Der Weg Deutschlands von derzeit ca. 5000 Neuinfektionen auf kontollierbare 100-200 hat etwa den Höhenunterschied wie der Chinas, aber mangels strenger Maßnahmen wird er voraussichtlich flacher als dort und somit einiges länger dauern. Wie flach? Am Abstiegspfad Österreichs, das Deutschland trotz späterem Beginn dank strengerer Maßnahmen mit der Bewältigung inzwischen Wochen voraus ist, kann man erahnen wo der flachere deutsche Pfad langlaufen wird. Lockert man gar die Isolationsregeln, so besteht schnell die Gefahr, dass der Graph eine Linkskurve macht und wieder ansteigt.

Zurück zu Jack Sparrow: Lasst uns also keine Ruderpause einlegen, sondern die Schlagzahl erhöhen, und mit Kraft, Ausdauer, Technik und mentaler Stärke die rettende Containment-Insel ansteuern. Je mehr wir uns ihr nähern, umso mehr erleichtert uns ihr Windschatten das Vorankommen. Meine Vorschläge:

  • Sei ein Wuhan-Chinese: Bleibt daheim, denkt nicht mal drüber nach, die Feiertagen oder Urlaubstage für Besuche zu nutzen.
  • Geht nur für das Nötigste außer Haus und dann möglichst allein. Allein ist man weniger abgelenkt, und kann leichter Ansteckungssituationen antizipieren.
  • Verhalte dich außer Haus so, als seist du infiziert. Denke nicht „Wie stecke ich mich nicht an?“ sondern denke „Wie stecke ich niemanden an?“. Dieses Mindset hilft, um in potenziellen Ansteckungssituationen besser zu reagieren und wirkungsvoller zu verhüten.
  • Der Gedanke „Nicht so schlimm, wenn es mich erwischt“ ist gut gegen die Angst aber sollte keine Nachlässigkeit hervorrufen. Es geht darum, möglichst bald wieder die Isolationsmaßnahmen zu lockern, und das setzt eine deutliche Senkung der Fallzahlen voraus. Da sind wir alle gefragt.
  • Masken sehen scheiße aus, aber Intubierte sehen noch viel scheißiger aus. Benutze in geschlossenen öffentlichen Räumen selbstgemachte Masken, auch um die Anwendung und den Anblick zur Gewohnheit werden zu lassen und Masken zum sozialen Standard zu erheben.
  • Kinder sind besonders fleißige Virenverbreiter. Sie spielen heute mit dem einen Nachbarkind, morgen mit dem anderen Nachbarkind, und so wird eine schöne Ansteckungskette gestrickt. Sperrt sie nicht ein, aber achtet darauf, dass sie nicht mit häufig wechselnden Freunden zusammen sind.

Je strenger wir uns selbst unter Kontrolle haben, je stärker wir dieses verdammte R drücken, desto näher ist die ersehnte Rückkehr zum normale Leben.

#BendTheCurve ist das neue #FlattenTheCurve.

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